80 Folgen "Lindström": Produzent Ronald Mühlfellner im Gespräch
Mit der Episode "Auf der Suche nach dir" lief am 17. März die 80. Folge der Bavaria Fiction-Reihe "Inga Lindström" im ZDF. Im Interview mit "Bavaria Film - Das Magazin" (Ausgabe 2/2018) sprach Produzent Ronald Mühlfellner Ende vergangenen Jahres über das schwierige Genre "Boy-meets-Girl".
Ronald Mühlfellner betreut als Produzent die "Inga Lindström"-Reihe und verwantwortete ind er Vergangenheit immer wieder die Münchner Episoden von "Tatort".
Herr Mühlfellner, seit 2003 wird "Inga Lindström" von der Bavaria Fiction produziert. Was macht die Sogwirkung der Reihe aus?
Gott sei Dank wurde dafür noch kein Algorithmus gefunden, dann wären wir alle unsere Jobs los. (lacht) Auch nach 80 Filmen weiß man nicht, ob man mit der nächsten Produktion wieder einen Nerv trifft. Als wir 2003 nach Schweden gefahren sind, um uns erste Motive anzusehen, hätte ich nicht gedacht, dass wir mal 80 Filme und mehr in dieser besonderen skandinavischen Welt spielen lassen. Die Erfolgsgeschichte der "Inga Lindström"-Reihe kann nicht von Schweden und den Menschen, die dort leben, getrennt werden. Über all die Jahre flüstert uns dieses Land immer wieder Geschichten zu und begeistert uns auch landschaftlich.
Auf der Suche nach ihrem Partner Lars (Ben Bela Böhm, M.) lernt die junge Köchin Astrid (Laura Berlin, 2.v.l.) den Campingplatzbetreiber Björn (Moritz Vierboom, l.) und dessen kesse Tochter Tova (Lisa Marie Trense, r.) kennen. Seine Frau Elin (Katrin Heß, 2.v.r.) hat die Familie verlassen um sich auf einen Selbstfindungstrip zu begeben.
Schweden ist also die geheime Hauptdarstellerin jeder Episode?
Ja, auf jeden Fall. Ein "Backdrop" ist ja nicht nur ein pittoresker Hintergrund. Wir erzählen in die Landschaften hinein und aus den Landschaften heraus. Bestimmte Geschichten sind nur dort denkbar. Das inspiriert uns immer wieder, es ist die Spitze in der Textur.
Auf der Suche nach Lars trifft Astrid (Laura Berlin, l.) auf den sympathischen Campingplatzbetreiber und Imker Björn (Moritz Vierboom, r.) und dessen Tochter Tova (Lisa Marie Trense, M.).
"Inga Lindström" – das sind klassische Liebesfilme. Wo liegen die Herausforderungen in diesem Genre?
Das Genre "Boy meets Girl" ist verdammt schwer zu bedienen. Wir sind so etwas wie die Landvermesser der Seele. Und die Seele ist, wie man seit Arthur Schnitzler weiß, ein "weites Land". Wir müssen die Art, wie unsere Zuschauer fühlen, verstehen und ansprechen. Gleichzeitig braucht man aber auch diesen "Larger than Life"-Effekt, mit archaischen Themen und Gefühlskonstellationen. Aus diesem Spagat versuchen wir immer wieder neue Geschichten zu finden, die nicht schon tausend Mal erzählt wurden.
Björn (Moritz Vierboom) tröstet wieder einmal seine Tochter Tova (Lisa Marie Trense), weil sie ihre Mutter vermisst.
Nicht gerade einfach.
Liebesfilme haben den Ruf, dass sie leicht zu schreiben sind. Aber die Buchentwicklung ist viel schwieriger, als gemeinhin bekannt. Man muss jede Geschichte komplett neu denken, fängt jedes Mal bei Null an. Es ist einfacher einen Krimi zu entwickeln, als eine Liebesgeschichte.
Der leidenschaftliche Hobby-Imker Björn (Moritz Vierboom) zeigt der jungen Köchin Astrid (Laura Berlin) seine Bienenstöcke.
Sie produzieren beides für den Sonntagabend: "Tatort"-Episoden und "Lindström"-Filme. Sie haben den direkten Vergleich.
Egal in welchem Milieu ein "Tatort" spielt, mit einer "Whodunit"-Story ist jede Geschichte schon nahezu aufgegleist. Du kannst automatisch am ganzen Ermittlungsapparat entlang erzählen: Es gibt die Forensik und die Kommissare, es gibt ein Milieu der Opfer, ein Milieu der möglichen Täter, du hast "Red Herrings"…
Astrid (Laura Berlin, l.) freundet sich mit Tova (Lisa Marie Trense, r.), Björns Tochter, an.
... also Elemente, die den Zuschauer auf eine falsche Fährte bringen sollen.
Und dieser ganze Blumenstrauß an dramaturgischen Mitteln fehlt bei einer Liebesgeschichte. Du musst gleichzeitig von Sehnsüchten erzählen und dann plausibel machen, warum diese in einer Gesellschaft der freien Entscheidung nicht erfüllt werden können. Denn sonst sind die Geschichten nach 15 Minuten zu Ende. Die Zuschauer müssen glauben: Das hat was mit mir zu tun. Nur so löst man in ihnen eine seelische Bewegung aus. Das empfinde ich als besondere Herausforderung.
Auf der Suche nach Lars kommen Astrid (Laura Berlin) und Björn (Moritz Vierboom) sich sehr nahe.
Christiane Sadlo, die Autorin von "Inga Lindström", hat einmal gesagt, sie schreibe moderne Märchen. Zu jedem guten Märchen gehört auch ein Antagonist, ein Bösewicht. Wie sieht der gemeinhin bei "Inga Lindström" aus?
Antagonistische Kräfte sind dramaturgisch sehr wichtig. Doch sie sind nicht mehr so simpel in eine Liebesgeschichte einzubauen wie früher, als beispielsweise ein Pater Familias entscheiden konnte, ob das Kind, oder wen das Kind heiratet. Wir arbeiten heute mit Antagonisten, die nicht so klar als Bösewichte erkennbar sind. Es fehlt sozusagen das blutige Messer in der Hand. Oft geht es stattdessen um ungelöste Schuldfragen, unausgesprochene Vorwürfe oder einfach überholte Haltungen.
Nach quälend langer Suche findet Astrid (Laura Berlin) ihren Partner Lars (Ben Bela Böhm) im Krankenhaus.
Ich habe es gerade schon kurz erwähnt: Sie sind in der Prime-Time am Sonntag manchmal doppelt vertreten – mit einem "Tatort" im Ersten und "Inga Lindström" im ZDF. Wie fühlt es sich an mit sich selbst im Wettbewerb zu stehen?
Diese Frage stellt sich mir nicht. Beide Genres machen zwar unglaublich viel Spaß in der Entwicklung, Herstellung und Produktion, erfordern aber zugleich ganz verschiedene Skills. Seit Ende 2008 ist der "Tatort" dem ZDF mit Blick auf die Marktanteile langsam davongezogen. Aber letztlich ist der Ehrgeiz, mit dem Tatort auf Augenhöhe zu stehen, nach wie vor da, sowohl bei der Redaktion als auch bei uns.
Auch wenn Astrid (Laura Berlin, l.) Björn (Moritz Vierboom, 2.v.l.) und Tova (Lisa Marie Trense, 2.v.r.) sehr liebgewonnen hat, will sie dem Familienglück mit der heimgekehrten Elin (Katrin Heß, r.) nicht im Weg stehen.
Krimi- und Action-Fans werden im deutschen TV mit vielen verschiedenen Formaten sehr gut bedient. Ist "Inga Lindström" ein notwendiger Gegenpol?
Jeder Sender sorgt für Vielfalt in seinem Programm. Deswegen braucht es neben Gewaltfilmen und -serien natürlich auch Formate, die Innenleben und Gefühlsleben abbilden. Insofern ist "Inga Lindström" nicht als Gegenpol zu sehen, sondern als Teil eines komplexen Angebots, das ein Sender bieten muss und was dem ZDF hervorragend gelingt. Insgesamt sehe ich aber noch Potenzial für mehr Drama, mehr Familienprogramme, mehr Programme, die sich mit Gefühlen und Beziehungen auseinandersetzen.
Ende gut, alles gut? Astrid (Laura Berlin, l.), Björn (Moritz Vierboom, 2.v.l.), Elin (Katrin Heß, 2.v.r.) und Lars (Ben Bela Böhm, r.) bei einem Glas Wein auf der Veranda.
Ist es schwer, Emotionen beim Zuschauer hervorzurufen – vor allem ohne Gewalt- oder Actionszenen?
Tiefe Emotionen wie Wut, Verzweiflung, Verlustangst und natürlich Liebe müssen spürbar gemacht werden. Das erreicht man über ein gutes Drehbuch, eine gute Regie und natürlich auch gute Schauspieler. Wenn dann noch ein emotionaler Score dazu kommt – umso besser. Es ist wirklich harte Arbeit (lacht).
Astrid (Laura Berlin) hat es bei ihrer Suche nach Lars auf einen abgelegenen Campingplatz an der Küste verschlagen.
Seit 2003 haben sich Erzählweisen, Technologien und Konsumverhalten stark verändert. Müssen deshalb auch Liebesfilme anders erzählt werden?
Wir haben uns seit 2003 Jahr für Jahr immer weiterentwickelt. Gleichzeitig haben wir einen Formatkern, dem wir treu bleiben: Wir bieten Liebes- und Familiengeschichten, die in Schweden spielen. Darüber hinaus beobachten wir den Markt sehr genau, sowohl im Free-TV als auch im Pay-TV und bei den Streaming-Anbietern. Dabei haben wir auch Formatvorgaben und die Vorgaben des Sendeplatzes zu berücksichtigen. Aber wir blicken auch immer neugierig auf ähnlich gelagerte Formatangebote und welche erzählerischen Mittel dort verwendet werden.
So unerwartet wie Elin (Katrin Heß) die Familie verlassen hat, so überraschend kehrt sie wieder zurück. Björn (Moritz Vierboom) versucht sie zu verstehen - reicht das für einen Neubeginn?
Die Hauptperson bei "Inga Lindström" ist seit jeher weiblich. Könnte die nächste Geschichte nicht mal aus Sicht von Adam statt Eva erzählt werden?
Wir sind der Strategie einer weiblichen Hauptfigur bisher treu geblieben. Aber es spricht grundsätzlich nichts dagegen, unsere Geschichten auch mal aus der männlichen Perspektive zu erzählen. Aber das müsste eine Geschichte sein, die nur aus dieser Perspektive heraus funktioniert. Ein Tabu ist es sicher nicht, es hat sich bisher nur noch nicht ergeben.
Astrid (Laura Berlin, 2.v.r.) hat sich ihren Traum vom eigenen Restaurant erfüllt. Mit Freude sind Gitte (Anja Karmanski, l.), Inge (Dominique Chiout, 2.v.l.) und Ole (Uwe Rohde, r.) zur Eröffnung gekommen.
80 Filme waren schon im TV zu sehen: Haben Sie einen Lieblings-"Lindström"?
Nein, tatsächlich nicht (lacht). Wenn, dann wäre es der erste Film. Er gab den Startschuss für unsere erfolgreiche Reihe. Daneben gibt es jedes Jahr einen Film, den ich besonders mag. Aber als Macher willst du natürlich jeden deiner Filme lieben, jeden so herstellen, dass du stolz darauf bist. Das ist das Ziel. Auch nach 80 "Lindström"-Episoden und allen, die folgen werden.
Das Gespräch führte Martin Brückle.
"Inga Lindström: Auf der Suche nach dir" in der ZDF Mediathek