In Memoriam: "Er liebte die großen Geschichten"

Mi., 17. Aug. 2022 Corporate News Bavaria Film feature
Wolfgang Petersen (1941 - 2022)

Ein Nachruf von Sven Femerling

"Er war für diesen Film ohne Konkurrenz", schrieb der Produzent und damalige Geschäftsführer der Bavaria Film, Günter Rohrbach, im September 1981 über die Auswahl des Regisseurs von "Das Boot". "Er war der Einzige, dem ich dieses Projekt handwerklich zutraute", fügte er während eines Interviews im Dezember 2005 in der eiskalten Zentrale der U-Boot-Filmkulisse in der Bavaria Filmstadt hinzu. Er war dabei  kameraabwärts in Kojendecken aus der Kulisse gehüllt.

Nach zwei gescheiterten Ansätzen, das "Boot" als deutsch-amerikanische Koproduktion mit Hollywood-Regisseuren wie John Sturges ("Gesprengte Ketten") oder Don Siegel ("Dirty Harry") zu realisieren, beschloss Günter Rohrbach, den Stoff von Bestseller-Autor Lothar-Günther Buchheim als eine rein deutsche Produktion umzusetzen: den bis dato teuersten deutschen Film, ein düsteres Kriegsthema, ohne Liebesgeschichte, ohne Happy End, mit bis auf einige Ausnahmen unbekannten Darstellern und einem Regisseur der bis zu diesem Zeitpunkt nur einen Kinofilm gemacht hatte – der damals 38-jährige Wolfgang Petersen.

Ansicht

Produzent Günter Rohrbach und Wolfgang Petersen im August 1981 nach der Eröffnung der Bavaria Filmtour. Die Innenkulisse und die Modelle aus "Das Boot" wurden vor der offiziellen Filmpremiere am 17. September 1981 der Öffentlichkeit präsentiert. Die Resonanz war überwältigend. Es war so gut wie unmöglich in der Umgebung des Studios einen Parkplatz zu finden.

© Bavaria Film Archiv

© Bavaria Film Archiv

Petersen war Abgänger des ersten Jahrgangs der DFFB in Berlin und konnte bereits auf große Erfolge im Fernsehen zurückblicken. Bei dem von Wolfgang Menge geschriebenen Katastrophen-Szenario "Smog" (1973) über eine Umweltkatastrophe im Ruhrpott, setzte er die nachgestellten Nachrichtenmeldungen so realistisch ein, dass Zuschauer sich besorgt bei den zuständigen Behörden meldeten. Einer seiner insgesamt sechs "Tatorte" – "Reifezeugnis" (1977) mit der damals 16-jährigen Nastassja Kinski – gilt bis heute als einer der erfolgreichsten Episoden der populären Reihe.

Das Homosexuellen-Drama "Die Konsequenz" (1977, mit Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald) sorgte für eine hochkontroverse Diskussion in den Medien, nachdem der Bayerische Rundfunk die Fernsehübertragung boykotierte - eine Reaktion, die den Fernsehfilm auf die große Leinwand brachte. Petersen hatte allerdings nur einen reinen Kinofilm realisiert: das Erpresser-Drama "Einer von uns beiden" (1974, mit Klaus Schwarzkopf und Jürgen Prochnow).

Die Erwartungen an den mit dem Makel des "Fernsehregisseurs" behafteten Petersen waren also hoch, aber Günter Rohrbach sollte sich nicht täuschen: "Die Zweifel schwanden mit den ersten Mustern […] Es entstanden Bilder von einer großen Wucht mit einer stupenden Authentizität." Petersen schrieb das Drehbuch nach Buchheims Vorlage in stoischer Selbstdisziplin in einem dreimonatigen Marathon selbst.

Schnell wurde klar, dass Petersen ein großes Team leiten konnte. Darüber hinaus war er in der Lage, jeden Mitarbeiter einzubinden und ihm seine Vision zu vermitteln. Und die vielleicht wichtigste Fähigkeit war, dass er in der langen Drehzeit von mehr als 170 Drehtagen stets die Nerven behielt - selbst als im Oktober 1981 die große Außenreplik des U-Bootes an der französischen Atlantikküste auseinanderbrach und versank.

"'Das Boot' war die Chance seines Lebens, und die hat er konsequent ergriffen." - Günter Rohrbach

"Das Boot" ist heute ein moderner Klassiker. Kaum ein anderer Film steht so stellvertretend für sein Sujet, ist quasi die Definition eines ganzen Genres. "Das Boot" gilt bis heute als der international erfolgreichste deutsche Film. Zwar gewann er keinen Oscar, aber kein anderer deutscher Film erhielt jemals sechs Nominierungen und ist bis heute derart generationsübergreifend im öffentlichen Bewusstsein verankert.

"'Das Boot' war die Chance seines Lebens, und die hat er konsequent ergriffen“, sagte Günter Rohrbach im Interview. Der Film holte Hollywood nach Geiselgasteig. Mit den Filmen "Die Unendliche Geschichte" (1984) und "Enemy Mine – Geliebter Feind" (1985) schuf Petersen in den Bavaria Studios weitere Produktionen für den Weltmarkt, bevor es ihn dann selbst nach Hollywood zog, und er mit Weltstars wie Clint Eastwood, John Malkovich, Glenn Close, Dustin Hoffmann, Harrison Ford, Gary Oldmann und Brad Pitt zusammenarbeitete.

Ich bin Wolfgang Petersen drei Mal begegnet und habe drei Interviews mit ihm geführt; zudem sprach ich mit meinem Kollegen Georg Grill zwischen 2004 und 2006 mit fast 60 seiner Wegbegleiter bei den Dreharbeiten zu "Das Boot". In einer Sache waren sich all diese Menschen, ob es nun Schauspieler oder Crewmitglieder waren, einig: Petersen war jemand der "einen mitnahm", der Begeisterung und Leidenschaft für das Filmemachen teilte und auf jeden am Set übertragen konnte. Er war jemand, "der sich auch mal bedankt hat", sagte uns der Requisiteur von "Das Boot", Peter Dürst. "Es gibt Regisseure, die bemerken sie gar nicht".

Beim ersten Interview im Berliner Nobelhotel Regent im Juli 2006, traf ich Petersen zum ersten Mal. Damals hatte er die undankbare Aufgabe, "Poseidon", seinen einzigen wirklichen Flop, zu promoten. Zu diesem Zeitpunkt war der Film bereits in den USA verrissen worden. Man gestand uns eine Gesprächszeit von knapp 30 Minuten zu. Ich bat darum, uns ans Ende der Warteliste zu setzen. Petersen war dann sichtlich erleichtert, über ein anderes Thema sprechen zu können und unterhielt sich dann mehr als eine Stunde mit uns über "Das Boot". Dabei unterstützte er uns, zwei Grafik-Studenten aus Berlin, nicht nur komplett allürenfrei mit Informationen, sondern auch mit persönlichen Leihgaben für die Ausstellung "Das Boot Revisited", die 2006, exakt 25 Jahre nach der Welturaufführung im Frankfurter Filmmuseum, eröffnet wurde.

© Gisela Schober / Getty Images

Zum 100-jährigen Jubiläum der Bavaria Film 2019 führte ich dann noch zwei weitere Gespräche mit Wolfgang Petersen: ein langes Telefonat in der Halloween-Nacht 2018 für die Jubiläumspublikation und im Folgejahr ein persönliches Gespräch in der Halle 8 der Bavaria Studios. Dabei war Petersen stets freundlich und gelassen, voller Energie und Tatendrang. Seine Stimme hatte immer noch einen norddeutschen Einschlag. Obwohl ich ihn nur in diesen kurzen Situationen kennengelernt habe, geht mir sein Tod nahe, da mich sein Opus magnum "Das Boot" und die Geschichte der Bavaria Film in den vergangenen 20 Jahren immer wieder beruflich begleitet haben.

Das Kino verliert mit Wolfgang Petersen einen der ganz Großen, einen der wenigen deutschen Regisseure, die es "geschafft" haben, nach Hollywood zu kommen und sich dort auch über längere Zeit zu etablieren. Jemand, der seinen Traum verwirklicht hat, Filmemacher zu werden und "große Geschichten" zu erzählen. Er wird fehlen.

Sven Femerling war Kurator der Jubiläumsausstellung der Bavaria Film anlässlich des 100. Unternehmensgeburtstages. Mit Georg Grill gestaltete er die Ausstellung "Das Boot Revisited" im Filmmuseum Frankfurt am Main und die Dokumentation "Das Boot: Welterfolg aus der Tiefe", die noch bis zum 17. September 2022 in der Arte-Mediathek zu sehen ist.