"Nähe kann man nicht spielen – und Vertrauen ist kein Trick"

Die Dokumentation "Kriminelle Clans in Deutschland - Ist der Staat machtlos", produziert von Story House Productions für das ZDF, wirft einen Blick auf verbrecherische Clanstrukturen in Deutschland. Im Zentrum steht die Frage: Sind das Einzelfälle oder ist es mittlerweile zu einem generellen Problem für die Gesellschaft geworden? Produzent Arnd Benedikt Piechottka hat sich mit der an der Doku beteiligten Investigativjournalistin Esther Hofmann vor der Ausstrahlung über ihre gemeinsame Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen unterhalten. 

Arnd: Liebe Esther, wir kennen uns seit mehr als 15 Jahren und ich erinnere mich noch gut an unsere erste Zusammenarbeit: eine Reportage über Society-Reporter. Du warst damals auf Promi-Jagd für die Bunte, und ich habe dich für eine sternTV-Reportage mit der Kamera begleitet. Heute bewegst du dich in einer völlig anderen Welt, in Netzwerken organisierter Kriminalität, in denen kein Blitzlicht mehr aufblitzt. Wie kam dieser radikale Wechsel?

Esther: Das mag auf den ersten Blick wie ein Bruch wirken, aber für mich war es eher ein konsequenter Schritt. Auch damals ging es ja um Zugang, um die Frage: Wie komme ich an Menschen ran, an Informationen, an Geschichten, die andere nicht kriegen? Der Unterschied ist nur: Heute sind die Geschichten gefährlicher. Und die Menschen, mit denen ich spreche, riskieren mehr.

Gerade in unserer aktuellen ZDF-Doku "Kriminelle Clans in Deutschland – ist der Staat machtlos?" war das besonders spürbar. Wir erzählen, wie kriminelle Clanfamilien staatliche Institutionen infiltrieren – insbesondere durch die Korruption von Polizisten. Dass du in diesem Milieu überhaupt an verlässliche Informationen kommst, ist beeindruckend. Wie schaffst du es, dass dir Menschen in solchen Kontexten vertrauen?

Es klingt banal, aber es braucht vor allem eins: Zeit. Und: echtes Interesse. Ich glaube, viele stellen sich das spektakulär vor – als gäbe es den einen Moment, in dem einem jemand alles erzählt. Aber so läuft das nicht. Ich habe für unsere Doku zwei Jahre lang an einer Spur gearbeitet, die mir ein Berliner Ermittler gegeben hat. Es ging um einen Fall, in dem Polizisten auf einer Wache in Neukölln über Monate bestochen worden sein sollen. Sechsstellige Summen. Das war kein Gespräch, sondern ein Puzzle.

Ich erinnere mich gut. Es gab ja immer wieder Gerüchte, die Clans hätten irgendwie Einfluss auf Behörden. Doch das änderte sich plötzlich.

Ja, das war auch für mich überraschend, weil die entscheidenden Informationen von einem Mann kamen, mit dem ich schon sehr lange in Kontakt bin, die er aber erst jetzt rausrücken wollte.

Ich finde ja, dass es in deiner Arbeit nicht nur um Recherchehandwerk geht – sondern um Psychologie. Einen Ansatz, den ich noch aus meiner Ausbildung kenne, sind die Methoden der Verhaltensanalyseeinheit des FBI, bei denen es darum geht, wie man Zugänge zu Menschen findet. Wie bringst du deine Gesprächspartner dazu, sich zu öffnen?

Indem ich aufhöre, zu recherchieren, und anfange zuzuhören. Ich versuche, wirklich da zu sein. Nicht sofort mit Fragen, sondern mit Zeit. Ich rede viel, oft auch erst mal über Alltägliches. Ich erzähle auch von mir. Nähe kann man nicht spielen – und Vertrauen ist kein Trick. Ganz grundsätzlich: man muss rausgehen. Die Geschichten findet man nicht, wenn man am Schreibtisch sitzt. 

Unsere gemeinsame Haltung war immer: Wir wollen nicht nur berichten, sondern eintauchen. Teil dieser Welt werden, so weit das journalistisch verantwortbar ist. Wie gefährlich ist der Job für dich?

Die eigentliche Gefahr betrifft selten uns. Die wirklich Mutigen sind unsere Quellen. Ich kann aufpassen, mit wem ich mich wo treffe. Aber wenn ein Insider sich offenbart, dann riskiert er Job, Existenz, manchmal sein Leben. Deshalb werden sensible Infos bei mir nie digital geteilt – sondern immer persönlich, an einem neutralen Ort. Es gab aber auch schon Hinweise von Behörden, dass ich bei bestimmten Kontakten vorsichtig sein soll.

Ein Thema, das dich gerade stark beschäftigt, ist Geldwäsche. Dein Wohnzimmer sieht momentan eher aus wie ein Ermittlungsbüro: Karteikarten, Post-its, Organigramme. Was fasziniert dich so an dem Thema?

Geldwäsche ist das unsichtbare Rückgrat der organisierten Kriminalität. Ohne sie bleibt kriminelles Geld wertlos. Wir sprechen in Deutschland über geschätzt 100 Milliarden Euro pro Jahr, die gewaschen werden – durch Immobilien, durch Scheinfirmen, über Strohmänner. Das Erschreckende ist: Unser Staat ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern strukturell schlecht aufgestellt, um das effektiv zu bekämpfen.

Du arbeitest exklusiv mit uns zusammen, wenn es um organisierte Kriminalität geht – aber du bist freie Journalistin. Wie wichtig ist dir diese Freiheit?

Sehr. Ich will Themen nachgehen, die mich wirklich interessieren. Und ich habe das Glück, dass ihr mir die Zeit gebt, die solche Recherchen brauchen. Auch wenn du manchmal ein bisschen drängelst. Ich arbeite auch gerade an einem Video-Podcast über ADHS – ein völlig anderes Thema, aber auch da habe ich Zugänge, die andere nicht haben. Für mich geht es immer um zwei Dinge: Relevanz und Zugang.

Aus deinen Clan-Recherchen sind ja schon einige Formate entstanden – eine vierteilige Serie für RTLZWEI, eine dreiteilige für ZDFinfo, ein großer Film für ZDFzeit, und jetzt ein weiterer. Außerdem produziert Story House gerade einen Podcast, in dem ein Insider Einblicke in die Welt der organisierten Kriminalität gibt. Bist du darauf stolz?

Ja – aber ich sehe das als Teamleistung. Gute Recherchen brauchen Vertrauen. Und das gilt nicht nur für die Quellen, sondern auch im Team. Bei unserem aktuellen Film war das zum Beispiel Anna Schultz, die all die Erkenntnisse geordnet und daraus einen gut erzählten Film gemacht hat. Und ich hätte viele dieser Geschichten nicht erzählen können, wenn ihr mir nicht den Rücken freigehalten hättet.

Die Dokumentation "Kriminelle Clans" wird am Dienstag, 1.07 um 20:15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.

Zusätzlich startet der Podcast "Der Vermittler: Einblicke in die Schattenwelt der organisierten Kriminalität". Darin spricht Arnd Benedikt Piechottka mit Ömer O., ein Vermittler, der tiefe Einblicke in seinen kriminellen Lebensweg gibt. Der Podcast ist ab dem 1. Juli bei allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar. 

Produziert wurden die Doku sowie der Podcast von Story House Productions.

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