"Wir wollen den Opfern eine Stimme geben" - "Totenwald"-Produzentin Maren Knieling im Interview

Heute startet die Event-Produktion "Das Geheimnis des Totenwaldes” als sechsteilige Serie in der ARD-Mediathek, ab dem 2. Dezember wird die Bavaria Fiction/ConradFilm-Produktion als Dreiteiler im TV zu sehen sein. Begleitet wird sie von einer Dokumentation und einem Podcast in der Audiothek. Die Geschichte ist inspiriert von einem wahren Fall: den Göhrde-Morden, deren Aufklärung auch drei Jahrzehnte später noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Der größte Durchbruch bei den Ermittlungen fand statt, als die Stoffentwicklung bereits in vollem Gange war. Im Interview spricht Produzentin Maren Knieling über die Herausforderungen der Produktion und die Grenzen zwischen Fiktion und Realität.

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Maren Knieling

Maren Knieling ist für die Bavaria Fiction als Produzentin tätig und verantwortete zahlreiche Kino- und TV-Projekte. 2020 produziert sie die Fernsehfilme "Alle Nadeln an der Tanne", "Schönes Schlamassel" und "Das Nest" sowie das TV-Event "Das Geheimnis des Totenwaldes".

© 2019 Bavaria Fiction

© 2019 Bavaria Fiction

Frau Knieling, der Event-Dreiteiler wird als sechsteilige Serie in der ARD-Mediathek zu sehen sein und als Dreiteiler im linearen TV. Vor welchen dramaturgischen Herausforderungen standen Sie?

Man muss bereits in der Bucharbeit die unterschiedliche Formatierung bedenken und die Cliffhanger für die Serienepisoden entsprechend im Kopf haben. Für die Redaktion um Christian Granderath, Sabine Holtgreve und Carolin Haasis, Autor Stefan Kolditz und Regisseur Sven Bohse sowie für Marc Conrad und mich als Produzenten war dies ein regelmäßiges Thema in der Buchentwicklung.

Die Erstellung von zwei Versionen – Dreiteiler und Serienfassung – bedeutet neben den inhaltlichen Herausforderungen in der Bucharbeit einen Mehraufwand für die Postproduktion. Letztlich muss im Schneideraum überprüft werden, ob die Theorie funktioniert hat. Um den Erzählfluss zu wahren, haben wir mit unseren Editoren Julia Karg und Kai Minierski die einzelnen Episodenübergänge sorgfältig überprüft. Für die Serie wurden die Cliffhanger am Ende einer Folge bisweilen anders verdichtet.

Das Herzstück der Geschichte ist zugleich Antrieb des Protagonisten: Ein Bruder sucht seine Schwester. Der Mann ist allen Widrigkeiten zum Trotz auf der Suche nach der Wahrheit. Wie vermitteln Sie als Filmemacherin diese emotionale Ausnahmesituation?

Vor allem durch die Schwerpunktsetzung der Erzählung. Neben einer packenden Kriminalgeschichte ist „Das Geheimnis des Totenwaldes“ in erster Linie ein berührendes Familiendrama, das die jahrzehntelange, zunehmend verzweifelte Suche eines Bruders nach seiner Schwester und den anhaltenden tiefen Schmerz, den ihr Verlust ihrer Familie verursacht, eindrucksvoll zeigt. Als Filmemacher war es uns wichtig, die Konsequenzen für die Familie zu zeigen und ihnen eine Stimme zu geben. Das Publikum begleitet unsere Hauptfiguren über knapp 30 Jahre, sie erleben die weitreichenden Auswirkungen eines Verbrechens durch unsere Figuren. Ihr Schicksal wird greifbar. Sehr eindrucksvoll wird dies durch die einfühlsame Inszenierung von Sven Bohse sowie durch die außergewöhnliche Kameraarbeit von Michael Schreitel dargestellt.

Wie viel Abstand muss man als Produzentin zu einem Stoff bewahren, der frei nach wahren Ereignissen erzählt wird?

Wir waren in der außergewöhnlichen Situation, miterleben zu dürfen, wie der Fall nach knapp 30 Jahren für die Familie einen Abschluss findet. Ein sehr emotionaler Moment für uns alle. Die Herausforderung in der Stoffentwicklung bestand darin, einerseits die realen Ereignisse im Kern authentisch abzubilden und andererseits der Erzählung genug Raum für die Fiktion einzuräumen. Die Verantwortung, einem solchen Stoff gerecht zu werden, ist groß. Eine Grundvoraussetzung für uns war es, Wolfgang Sielaff, seine Familie sowie sein enges Kernteam mit Claudia Brockmann und Reinhard Chedor in die Produktion einzubeziehen, um "Das Geheimnis des Totenwaldes" bestmöglich zu entwickeln und dabei respektvoll mit dem Schicksal der Hinterbliebenen umgehen zu können.

"Das Geheimnis des Totenwaldes" zeigt auch Schwachstellen deutscher Ermittlungsarbeit auf - ein grundsätzlich aktuelles Thema im öffentlichen Diskurs. Welche Rolle schreiben Sie sich als Produzentin dabei zu?

Im besten Sinne trägt man als Produzentin oder Produzent mit dem eigenen, filmischen Wirken zum aktuellen Diskurs bei. Denn dies sind die Themen, die einen selbst umtreiben und berühren. Als nächstes muss man Senderpartner und Kreative finden, die die gemeinsame Vision teilen.

Mit "Das Geheimnis des Totenwaldes" möchten wir zum Nachdenken und Umdenken anregen, den Finger in die Wunde legen und Vorgänge offenbaren. Wir wollen den Opfern eine Stimme geben. Wenn wir damit zum öffentlichen Diskurs beitragen können, haben wir viel richtig gemacht.

 

Das Interview führte Martin Brückle.

Zum Inhalt

Im Sommer 1989 verschwindet die Schwester des Hamburger LKA-Chefs Thomas Bethge spurlos aus ihrem Haus in Niedersachsen, in dessen Nähe furchtbare Doppelmorde geschehen sind. Die Polizei in Weesenburg scheint überfordert. Bethge steht vor der schwierigsten Aufgabe seines Lebens: Er will seine Schwester finden, darf aber als Hamburger Polizist nicht in Niedersachsen ermitteln. Unbeirrt und fast drei Jahrzehnte lang recherchiert Thomas Bethge gegen große Widerstände in einem rätselhaften Kriminalfall, ehe er, bereits pensioniert, einem mysteriösen Serienmörder auf die Spur kommt.

Zur Produktion

"Das Geheimnis des Totenwaldes" ist eine Produktion von ConradFilm (Produzent: Marc Conrad) und Bavaria Fiction (Produzenten: Maren Knieling, Jan S. Kaiser) im Auftrag von ARD Degeto und NDR für Das Erste. Regie führte Sven Bohse, das Buch stammt von Stefan Kolditz. Die Kamera verantwortete Michael Schreitel. In den Hauptrollen zu sehen sind unter anderem Matthias Brandt, Karoline Schuch, August Wittgenstein, Silke Bodenbender, Nicholas Ofczarek, Jenny Schily, Hanno Koffler, Anne Werner, Janina Fautz, Hildegard Schmahl und Mirco Kreibich.

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