"Einblicke, die sonst niemand bekommt"

Die Doku-Reihe "Putins Krieger", produziert von Story House Productions für das ZDF in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Correctiv, zeigt das Innere einer Black Box: die russische Armee. Produzent Jens Afflerbach erzählt im Interview unter anderem von den Herausforderungen bei der Realisierung der Doku-Reihe und welches Echo das Filmprojekt auslösen könnte.

Herr Afflerbach, was gab den Anstoß für die Produktion einer Insight-Doku-Reihe über die russische Armee?

Wir beschäftigen uns bei Story House seit vielen Jahren mit Themen rund um Russland, darunter das politische System und Wladimir Putin. Im letzten Jahr ergab sich die Möglichkeit, direkten Zugang zu russischen Überläufern zu bekommen, was uns aus verschiedenen Gründen natürlich sehr interessiert hat.

Welche Gründe sind das?

Zum einen wurde in der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg bereits jedes Thema beleuchtet, jedoch gab es diese spezifische, interne Perspektive der russischen Seite bisher kaum. Zum anderen herrscht in Deutschland oft eine zwiegespaltene Meinung über die russische Armee: Manche betrachten sie als unbesiegbar, während andere glauben, dass sie aufgrund bestimmter Schwächen im Krieg nichts erreichen kann. Beides ist jedoch nicht wahr. Überläufer bieten einen Einblick in dieses komplexe Thema.

Worauf fokussiert sich die Doku-Reihe?

Wir erzählen die Geschichten von vier Überläufern in vier Teilen aus ihrer Perspektive. Jeder Teil konzentriert sich auf eine Person und ihre konkreten Erlebnisse. Diese Geschichten haben teilweise Ähnlichkeiten, verlaufen jedoch auch ganz unterschiedlich, was auch mit dem Alter der Personen zu tun hat.

Inwiefern?

Da gibt es Menschen, die seit mehr als 40 Jahren Soldat sind und mit großen Illusionen aus Sowjetzeiten ihre Militärkarriere begonnen haben, aber nun einen langen Weg der Loslösung hinter sich haben. Es gibt aber auch die Geschichte von einem jungen Mann Mitte 20, der Offizier wurde, kurz bevor der Krieg ausbrach, und der bereits keine Illusionen mehr hatte, als er zur Armee kam. Er hatte bereits so viel gehört und wusste, was los ist – die Generation Internet eben. Es sind sehr individuelle Lebenswege. Am Ende ist man einigermaßen ratlos, ob sie einem sympathisch sind oder nicht.

Die aktuelle politische Situation hat die Recherchen sicher besonders sensibel gemacht. Auf was haben Sie deshalb besonders geachtet, um die Sensibilität dieses Themas angemessen zu berücksichtigen?

Für uns ist es vor allem wichtig, dass alle Beteiligten geschützt sind, insbesondere die Überläufer selbst. Darauf war nicht nur bei den Dreharbeiten selbst, sondern in allen Phasen der Vorbereitung und der Produktion zu achten.

Wie genau kann man sich das vorstellen?

Oft sind wir spontan zu Dreharbeiten in entlegenen Teilen Europas, Asiens oder anderen Kontinenten aufgebrochen, um die Armeeaussteiger zu treffen, die versteckt leben. Die Angst vor dem Zugriff des russischen Geheimdienstes ist berechtigt, da in Putins Russland Verrat als schwerstes Vergehen gilt. Verräter sind schlimmer als der Feind auf dem Schlachtfeld. Wir konnten sie quasi während ihrer Flucht treffen. Alle haben Dinge erlebt oder getan, die für die Aufklärung von Kriegsverbrechen wichtig sein können. Alle hoffen, dass sie sich in ein Zeugenschutzprogramm begeben.

Gab es auch Momente, die Sie haben zweifeln lassen, ob das Projekt wirklich fertig wird?

Interessanterweise nicht. Ich denke, wir hatten einen guten Plan und genug Energie, um den Plan ständig anzupassen. Natürlich sind wir oft genug irgendwohin gereist und dann hat der Dreh nicht stattgefunden. Es wäre auch möglich gewesen, dass jemand am Ende sagt, er möchte doch nicht mitmachen, oder dass es eine Notlage gibt, die uns daran hindert, den Film überhaupt zu zeigen. Das muss man immer bedenken. Aber das ist nicht passiert. Deshalb hatte ich keinen Zweifel, obwohl es tatsächlich genügend Risiken gab.

Sie haben gemeinsam mit Correctiv mehr als ein Jahr an der Doku-Reihe gearbeitet. Wie lief die Zusammenarbeit genau ab?

Man kann in Russland nichts so gegenrecherchieren, wie man es bei uns tun würde. Daher benötigten wir Partner, die uns unterstützen, weshalb wir Correctiv gebeten haben, sich an unserem Projekt zu beteiligen. Wir haben auch mit anderen Plattformen zusammengearbeitet, die mit der russischen Art der Investigativ-Recherche vertraut sind. Da läuft sehr viel über digitale Daten. Correctiv und alle anderen Kollegen waren dabei sehr hilfreich.

Wie haben Sie sichergestellt, dass die Informationen der Armeeaussteiger verlässlich sind?

Das ist genau das, wo unser Recherche-Netzwerk hilft. Man muss fairerweise sagen, dass man nicht jedes Detail überprüfen kann. Was wir jedoch haben, sind Gegenrecherchen durch unsere eigenen Quellen, durch Correctiv und durch andere allgemeine Investigativ-Plattformen. Und dann ist es so, dass drei von vier Überläufern bereits Aussagen vor internationalen Ermittlern gemacht haben. Niemand kann sagen, ob sie zu hundert Prozent die Wahrheit erzählen, zum Beispiel bei der Aussage: 'Alle haben auf Zivilisten geschossen, aber ich nicht.' Das lassen wir stehen und müssen es stehen lassen. Dennoch denke ich, dass wir der Wahrheit schon ein gutes Stück nähergekommen sind.

Welche Schlüsselerkenntnisse haben Sie persönlich während der Produktion gewonnen?

Für mich war es emotional schön zu sehen, wie weit man kommen kann, wenn ein Team gemeinsam in dieselbe Richtung geht und dasselbe Ziel verfolgt. Es war beeindruckend, wie bis zum Schluss im Grunde alle bei Story House, aber auch bei den Partnern, die ungenannt bleiben müssen, zusammenarbeiteten, um diese Zugänge zu bekommen und daraus spannende Filme zu machen. Last but not least: Auch unsere Kollegen im ZDF mussten lange Zeit warten, bis sie etwas zu sehen bekamen. Die Redaktion Zeitgeschehen um Redaktionsleiterin Caroline Reiher hat uns unfassbar viel Vertrauen entgegengebracht, dass wir am Ende auch mit etwas Brauchbaren zurückkommen. Ich denke, das haben wir geschafft.

Wie schätzen Sie die Reaktionen des Publikums auf das Filmprojekt ein?

Ich hoffe kontrovers! Für einige wird es nicht einfach sein, das zu sehen, insbesondere für die ukrainischen Kriegsopfer. Dennoch haben einige dieser Opfer am Projekt teilgenommen. Ich bin sehr gespannt.

Was hoffen Sie, dass die Doku-Reihe bewirkt?

Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft zu ausgewogeneren und konsequenteren Urteilen gelangen. In den vergangenen Jahren lebten wir, da schließe ich mich selbst nicht aus, in einer Komfortzone in Bezug auf unser Verhältnis zum politischen Russland. Diese Illusion muss durch einen realistischen Blick auf das ersetzt werden, was wirklich passiert, mit wem wir es wirklich zu tun haben. Ich hoffe, dass unsere Reihe dazu einen Beitrag leisten kann, da sie Einblicke bietet, die man sonst nicht bekommt.

Lieber Herr Afflerbach, vielen Dank für das Gespräch.

 

Interview: Leonie Hohlfeldt

Alle vier Folgen der Doku-Reihe "Putins Krieger" sind in der ZDFmediathek verfügbar.

In einer zusätzlichen analytischen Dokumentation werden unter anderem Kriegsgefangene und Geheimdienstler interviewt sowie exklusives Filmmaterial und Bilder jener Social-Media-Kanäle gezeigt, die den Krieg in der Ukraine Tag für Tag dokumentieren. "Putins Krieger: Russische Überläufer packen aus" ist ebenfalls in der ZDFmediathek abrufbar.

Produziert wurde die Doku-Reihe sowie die Dokumentation von Story House Productions.

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