"Sein Vertrauen war ein großes Geschenk"
Oliver Stokowski spielt die Hauptrolle in der Verfilmung von Horst Lichters autobiographischem Roman "Keine Zeit für Arschlöcher". Lichter beschreibt darin die letzten Monate im Leben seiner Mutter. Im Interview erklärt Stokowski, wie er sich der Rolle des Horst Lichter genähert hat, warum der Film eine der wichtigsten Arbeiten seines Lebens ist und warum Clowns auch traurig sein dürfen.
Horst Lichter (r.) besucht Schauspieler Oliver Stokowski (l.) am Set.
Herr Stokowski, vermissen Sie den Bart von Horst Lichter?
Als er mir am letzten Drehtag abgenommen wurde, da war ich schon sehr traurig, es war ein emotionaler Abschied.
Warum war der Abschied emotional?
Das ganze Projekt war sehr intensiv für mich. Ich habe eine Person verkörpert, die real existiert, die ein Millionenpublikum begeistert. Man wird von allen Beteiligten genau beobachtet: Nehmen wir ihm die Rolle ab – oder nicht? Und so ein Drehbuch hat man auch nicht alle Tage auf dem Tisch. Es war eine der wichtigsten – wenn nicht sogar die wichtigste – Filmarbeit meines Lebens bisher.
Unvermutet ereilt Horst Lichter (Oliver Stokowski) im Jahr 2014 eine ernste Nachricht von seiner Mutter.
Wie eng haben Sie mit Horst Lichter zusammengearbeitet?
Wir haben uns bereits beim ersten Kennenlernen lange und intensiv miteinander unterhalten. Er hat sich mir geöffnet. Dieses Vertrauen war ein großes Geschenk. Solche Gespräche führt man nicht alle Tage und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Auch danach haben wir immer wieder telefoniert und uns getroffen, aber das geschah alles abseits des Sets, das war eine Sache zwischen ihm und mir. Er war auch mal beim Dreh dabei, aber er wollte sich nicht weiter einmischen. Er hat immer betont, er müsse das Thema abgeben.
Nada Lichter (Chiara Schoras, l.) und Horst Lichter (Oliver Stokowski, r.) sind seit einigen Jahren ein Ehepaar.
Sie sind 1,80 Meter groß, Horst Lichter misst, sagen wir mal, etwas weniger ... Hat das Ihr Spiel beeinflusst?
Horst Lichter ist sehr sportlich. Der Mann steht kerzengerade da, wie ein Turner kurz vorm Absprung. Da musste ich mich nicht kleiner machen. Im Gegenteil, ich musste mich strecken. Und die Körperlichkeit ist auch nur ein Teil des Schauspiels. Ich habe versucht, alle Facetten von Horst Lichter aufzusaugen: Was hat er erlebt? Wie ist seine Sprachmelodie, was betont er, wie gestaltet er einen Satz? Wann sagt er "dat" und wann sagt er eben nicht "dat", wie weit geht der rheinische Dialekt? Das habe ich haarklein studiert. Das Hörbuch habe ich gefühlte 12.000 Mal angehört, unzählige seiner TV-Sendungen und beinahe jedes Interview gesehen. Anschließend begann die eigentliche Arbeit: die Figur zum Leben erwecken. Man will die Zuschauer in die Geschichte holen, in diesen alles verändernden Lebensabschnitt von Horst Lichter. Wenn man es schafft, der Seelenwelt, dem Gefühlsleben gerecht zu werden, als er seine ganze Kindheit noch einmal vor sich sieht und die Beziehung zu seiner Mutter noch einmal aufarbeitet… dann vergisst man, dass man eine Rolle spielt. Und das Publikum im Optimalfall auch.
Horst Lichter sagt, er habe immer wieder den Clown gegeben, um der Härte seiner Mutter etwas entgegenzusetzen. Gleichzeitig ist er ein umtriebiger Geschäftsmann. Wie haben Sie diese Ambivalenz in ihrem Schauspiel verarbeitet?
Meine Aufgabe war es, den Menschen Horst Lichter in dieser Situation so authentisch wie möglich zu verkörpern. Da habe ich nicht an zwei, drei oder fünf Seiten von ihm gedacht. Ich habe versucht, seine Gefühlslage im jeweiligen Moment zum Leben zu erwecken. Egal was vorher oder nachher war.
Mehr Infos zur Produktion "Keine Zeit für Arschlöcher" von Bavaria Fiction
Insbesondere eine Szene stellt die Quintessenz von Horst Lichters Sicht auf das Leben heraus. In der Szene rügt Mutter Margret ihren Sohn: "Sieh' nicht immer das Gute, wo nichts Gutes ist." Darauf antwortet Horst Lichter: "Wenn ich das nicht tue, was gibt es dann noch zu sehen?" Wie stehen Sie zu dieser Antwort?
Er ist und war sein Leben lang bemüht, den Ernst der Lage wegzutanzen, ihm die Brisanz zu nehmen – trotz aller Schicksalsschläge. Das war bei der Krankheit seiner Mutter irgendwann nicht mehr möglich und stürzte ihn in eine große Sinnkrise. Die letzte Wurzel wird dir ganz plötzlich herausgerissen und du bist dann plötzlich ein Waise. Und dann sagt seine Mutter auch noch diesen Satz: "Hör endlich auf, der Clown zu sein!" Das hätte ihn beinahe komplett aus der Bahn geworfen, er hat sein ganzes Leben hinterfragt. Doch er hat auch diese Kurve gekriegt und ist wieder auf die Spur gekommen.
Zurück zu Hause: Horst Lichter (Oliver Stokowski, r.) sitzt gemeinsam mit seiner Mutter Margret (Barbara Nu?sse, l.) in seinem alten Kinderzimmer.
"Der Clown darf lustig – und traurig sein", sagt er schließlich im Film.
Er hat seine Fröhlichkeit wiedergefunden. Dass man an das Gute glaubt, hält einen auch am Leben. Zu dieser Erkenntnis ist er glücklicherweise gelangt.
Herr Stokowski, herzlichen Dank für das Gespräch.
Interview: Martin Brückle